Die Revolution 1848/49 und die Musik

Die Revolution 1848/49 und die Musik

Organisatoren
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Musikforschung
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
20.11.2008 - 22.11.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Cornelia Szabó-Knotik, Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Die Ereignisse der Revolution von 1848, ihre Vorbedingungen und Auswirkungen, sind als Gegenstand historischer Forschung in Österreich vielfach behandelt worden, unter musikgeschichtlichen Aspekten hingegen wurden sie noch kaum untersucht, weil der, meist unter der Perspektive des Fortschritts von kompositorischem Material, auf Kunstmusik fixierte historische Blick hier wenig Anlass zum Verweilen zu finden meinte und weil außerdem die politische Funktion von Musik maßgeblichen Autoren des Faches Musikwissenschaft lange Zeit als geradezu schändlich galt. Die im Dezember 2008 von der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien unter der Leitung Gernot Grubers (Wien) veranstaltete, von Barbara Boisits (Wien) konzipierte und organisierte internationale Konferenz „Die Revolution 1848/49 und die Musik“, behandelte das Thema unter den methodischen Voraussetzungen des von dieser Einrichtung zentral betriebenen Forschungsprogramms „Musik – Identität – Raum“, nämlich unter zentraleuropäischer Perspektive, aufgrund eines breiten, nicht auf die Hochkunst beschränkten Musikbegriffs, sowie unter Einbeziehung des Musiklebens (vgl. die Panels „Institutionen und Vernetzungen“ und „Musikkritik“) und der kulturwissenschaftlich (im Sinn von Revolution als Gedächtnisort) ausgerichteten Frage nach den damit verbundenen Bedeutungszuschreibungen im Rahmen musikalischer Produktion und musikbezogenen Denkens (vgl. das Panel „Mythen und Rezeptionen“).

Der Bezug auf Zentraleuropa war von der Einsicht bestimmt, dass die politischen Räume nicht immer mit den „Kunst-Räumen“ gleichzusetzen sind, dass es also einer sensiblen Berücksichtigung der für die Kunstentwicklung auch unterschiedlichen Grenzverläufe bedarf, und dass für die mit 1848/49 verbundene Erinnerungskultur in diesem Raum sowohl Parallelen, als auch Gegensätze feststellbar sind. So kann ein und dasselbe Stück in verschiedener Weise als Gedächtnisort konnotiert sein: Als ein Beispiel dafür verwies BARBARA BOISITS auf die heute in Österreich unüberhörbare Popularität des Radetzkymarsches, der seinen ursprünglich politisch-reaktionären Hintergrund vollkommen verloren hat, was in Ungarn, wo 1848 einen ungebrochen aktuellen Gedächtnisort darstellt, undenkbar wäre; entsprechend hat der ebenfalls von Johann Strauß Vater vor vergleichbarem Hintergrund komponierte Jellačić-Marsch keine vergleichbare Rezeption erfahren. Ähnliche Beispiele – zum Teil solche mit zeitlich unterschiedlich andauernder Wirksamkeit – wurden auch in anderen Vorträgen der Konferenz thematisiert: So in PETER HALÁSZ (Budapest) Ausführungen über Sándor Petöfi und Lajos Kossuth, die bis heute Grundelemente ungarischer Identitätspolitik darstellen, VIKTOR VELEKS (Brno) Analyse der symbolischen Bedeutung der Verehrung des Hl. Wenzel in Tschechien von 1848 bis zur Gegenwart, VJERA KATALINICS (Zagreb) Thematisierung des Kults um Josip Jellačić in Kroatien, dem noch 1989 Stücke, Lieder und Gedichte gewidmet wurden und Jana Lengovás (Bratislava) Ausführungen über das Liedrepertoire der Revolution und seine Rezeption.

In der bildlichen Darstellung wurde sowohl für die Erinnerungsfeiern der ehemaligen Aufständischen, als auch durch die Konterrevolutionäre dasselbe sakrale Vokabular benutzt, weil für die Letzteren mit 1848 eine neue Zeitrechnung der Monarchie einsetzte, wie WERNER TELESKO (Wien) in seinen Ausführungen zur Bedeutung der Revolution für die Historienmalerei und jener der Graphik für die Bildpublizistik darlegte. Und Giuseppe Verdi konnte, obwohl seinerseits kein aktives Interesse an den Ereignissen von 1848 nachweisbar ist, nach 1859 eine Verbindung zur Revolution geschickt als Element seiner Vermarktung einsetzen, wie ANTONIO BALDASSARE (Zürich) erläuterte.

Das verwickelte Verhältnis von Revolution und Kunstmusik lässt die Frage nach dem kompositionsgeschichtlichen Impuls politischer Erschütterungen nicht einfach linear beantworten. Für die Zeit um 1848 ist jedenfalls eine Aufbruchsstimmung im Sinne musikalischer Innovation feststellbar, wie GERNOT GRUBER am Beispiel eines in Teilen im Rahmen der Tagung auch aufgeführten Streichquartetts, des in Wien standrechtlich erschossenen Revolutionärs Alfred Julius Becher, aufzeigen konnte. Das in der deutschen Musikgeschichtsschreibung zu konstatierende Emanzipationspathos ist – nach FRANK HENTSCHEL (Gießen) – nicht so sehr direkte Auswirkung der revolutionären Ereignisse, als Symptom einer allgemeinen vormärzlichen Aufbruchsstimmung. Revolutionen, so HERMANN BLUME (Wien) in seinem Vortrag, seien immer auch Kulminationspunkte langfristig unterdrückter, kollektiver Affekte, die sich im Vormärz epochenpathologisch als "Weltschmerz" und "Hypochondrie" ausdrückten; im Zentrum der Ausführungen standen dabei die ästhetisch-symbolischen Bearbeitungen dieses Problemkomplexes im Motiv des "tönenden Memnon" als Form des versteinerten Schmerzes im Schnittpunkt von Dichtung und Musik.

Der unverzichtbare Blick auf alle Ebenen des Musiklebens dieser Jahre rückt als zwei wesentliche musikalische Erscheinungen des Revolutionsjahres einerseits burschenschaftliches Liedgut (wie etwa das Fuchsenlied), andererseits die soziale Rügepraxis der Katzenmusik in den Blickpunkt, was insbesondere in den Vorträgen von WOLFGANG HÄUSSLER und HUBERT REITTERER (beide Wien) und auch in einer konzertanten Darbietung von Studierenden der Wiener Musikuniversität thematisiert wurde. Diese beiden musikalischen Praktiken markieren einerseits den Wandel des Repertoires von biedermeierlicher Privatheit zur „Straße“, so Christian Fastl (Wien) in seinem Vortrag über das Männerchorwesen – wovon sich übrigens die vom Selbstverständnis als „Geschmackserzieher“ geprägte Musikkritik, nach vollbrachter Aktion, einen Aufschwung des Musiklebens erwartete (Vortrag Boisits) – und betrafen andererseits die im Umfeld der politischen Aktion entwickelten Rituale, deren karnevalesker und subversiver Anteil bemerkenswert ist.

Grundlegend für die Darstellung der Auswirkungen der politischen Ereignisse auf das Musikleben und seine Akteure – insbesondere dargelegt in den Ausführungen SUSANNE ANTONICEKs (Wien) und JUTTA TOELLEs (Berlin) – war die soziale Differenzierung der Ereignisse zwischen bürgerlicher Revolution im März und proletarischem Arbeiteraufstand im Oktober des Jahres. Wesentliche Quellen zur Darstellung der Ereignisse sowie für den Einfluss der Wahrnehmung neuer Kulturformen sind dabei persönliche Dokumente und Zeitzeugnisse, was in mehreren Beiträgen anhand zahlreicher Beispiele belegt werden konnte: Häussler und Reitterer stützten ihre Ausführungen teilweise auf private Aufzeichnungen aus Wien, WALBURGA LITSCHAUER (Wien) präsentierte ein Tagebuch aus Klagenfurt, BJÖRN TAMMEN (Wien) bediente sich der Korrespondenz des Prager Musikschulinhabers Anton Proksch als Quelle und GERLINDE HAID (Wien) referierte über den „Bachwirt“ Johann Kain, dessen Liederbücher die Revolution aus individueller Sicht dokumentieren.

Die zeitgenössische Verlagsproduktion trug dem Wandel des Musiklebens Rechnung, indem erwartungsgemäß ein Aufschwung der Gattung Marsch registriert werden kann, was insbesondere in den Vorträgen von THOMAS AIGNER und ERICH WOLFGANG PARTSCH (beide Wien) thematisiert wurde. Auch entstanden zahlreiche tagesaktuelle Kompositionen – wie etwa Carl Haslingers „Drei Märztage“ – und das Jahr 1848 wurde retrospektiv vielfach zur zeitlichen Zäsur erhoben, etwa von Johann Vesque von Püttlingen, Hofrat in der Staatskanzlei, der seine Kompositionen in vor- und nachrevolutionäre einteilte (Vortrag Partsch) oder vom Musikkritiker und -historiker Eduard Hanslick in seiner Beschreibung des Wiener Musiklebens (Vortrag Boisits). Auch theatralische Produktion und Rezeption reflektierten zum Teil die politischen Ereignisse: VLASTA REITTEREROVÁ (Prag/Wien) wies dies für das tschechische Theater nach, vor allem am Beispiel von Johann Friedrich Kittls nach einem Libretto von Richard Wagner komponierter Oper „Bianca und Giuseppe“; Peter Halász konstatierte demgegenüber für die Situation in Budapest eine bemerkenswert geringe Rolle nationaler Opern im Zusammenhang mit dem Repertoire von 1848. Hubert Reitterer, Wolfgang Häussler und Erich Wolfgang Partsch präsentierten Beispiele mit Bezug zu Wien, wie Johann Nestroys „Freiheit in Krähwinkel“ und das 1848 im Theater an der Wien aufgeführte Schauspiel „Das bemooste Haupt oder der lange Israel“ (1841) von Roderich Benedix. Auch an Gustav Albert Lortzings erst nach Jahrzehnten aufgeführte Revolutions-Oper „Regina“, deren Handlung teilweise in einer Fabrik angesiedelt ist, wurde erinnert. Für alle musikalischen Gattungen gilt, dass das gewohnte Repertoire teilweise neue Bedeutungszuschreibungen erhielt (vgl. beispielsweise Ludwig van Beethovens „Der glorreiche Augenblick“ op. 136 von 1814).

Charakteristisch für den Ablauf der Tagung war ein dichtes Netz von Querbezügen zwischen den einzelnen Beiträgen, woraus einerseits ein intensiver Gedankenaustausch in den Diskussionen, andererseits auch konkrete, über die Publikation des Tagungsberichts hinausreichende Projektideen und der Wunsch nach weiterer Zusammenarbeit über die Thematik resultierten.

Konferenzübersicht:

Peter Schuster (Präsident der ÖAW)
Begrüßung

Gernot Gruber (Obmann der Kommission für Musikforschung)
Begrüßung

Barbara Boisits (Wien)
Kurze Einführung in die Thematik der Konferenz

Wolfgang Häusler (Wien)
Katzenmusik und Fuchslied als sozialer und politischer Protest in der Wiener Revolution

Evelyn Fink-Mennel (Wien) und Studierende der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (LV Volksmusikpraktikum)
Konzert: Revolutionsmusik aus Wien

Hubert Reitterer (Wien)
„... durch lärmende Musik und Jubelschreie aufgeweckt“. Die Wiener Revolution 1848 in Tagebuch und Flugblatt

Thomas Aigner (Wien)
Tanz auf dem Vulkan – Wiener Ball- und Marschmusik im Revolutionsjahr 1848

Gernot Gruber (Wien)
Revolution der Kunst und der Politik: ein Widerspruch? Zu Alfred Julius Bechers Streichquartett in A-Dur

Erich Wolfgang Partsch (Wien)
Revolutionsmusik? Zum Wiener Repertoire im Jahre 1848

Barbara Boisits (Wien)
„Das Wort ist frei, die Kunst ist frei.“ Musikkritik im Revolutionsjahr 1848

Frank Hentschel (Gießen)
Gustav Schilling und Franz Brendel: Musikgeschichtsschreibung vor und nach 1848

Antonio Baldassarre (Zürich)
„Ehre gebührt diesen Helden! Ehre gebührt ganz Italien das nun wahrhaft groß ist!“ Giuseppe Verdi und seine Musik im Kontext der europäischen bürgerlichen Revolutionsbewegungen

Vlasta Reittererová (Prag/Wien)
„Schwillt die Brust, tönt der Klang...“. Ein Revolutionslied aus Zufall

Péter Halász (Budapest)
Von Kossuth-Weisen zur Kossuth-Symphonie: 1848 und die Nachwirkungen in der ungarischen Musik

Hermann Blume (Wien)
Der tönende Memnon – Klänge zum Steinerweichen: Musikalischer Schmerz in vormärzlichen Texten

Werner Telesko (Wien)
Das Jahr 1848 und seine Bedeutung für die Mythisierung historischer Ereignisse in der bildenden Kunst Österreichs

Susanne Antonicek (Wien)
„Widrigenfalls wird mit Entlassung gedroht.“ Die Wiener Hofmusikkapelle im Revolutionsjahr 1848

Christian Fastl (Wien)
„Was ist des Deutschen Vaterland? – Gewiß, es ist das Österreich, an Ehren und an Siegen reich.“ Der Stand der Männergesangvereine in Österreich um 1848/49

Viktor Velek (Brno)
Die Sternstunde der familia sancti Wenceslai – zur Rolle der St. Wenzelschen Musiktradition im Jahre 1848

Walburga Litschauer (Wien)
„Im nächtlichen Dunkel sang der Chor am Platze“. Klagenfurter Musikleben um 1848

Vjera Katalinić (Zagreb)
Die Musikkultur in Zagreb im Jahr 1848

Jana Lengová (Bratislava)
Der „Slowakische Frühling“ 1848/49 und die Musik

Björn R. Tammen (Wien)
„O! es ist eine herrliche Morgenröthe!“ Joseph Proksch – Revolutionär wider Willen?

Jutta Toelle (Berlin)
Merelli und die Revolution: 1848 an den Opernhäusern in Wien und Mailand

Gerlinde Haid (Wien)
Der „Bachwirt“ Johann Kain, ein Ausseer Volkssänger aus der Zeit der Revolution